Dienstag, 20. Januar 2009

Vorderhofgeflüster.

Ein spätabendliches Hörspiel.


Es wird Abend in Beijing und der Wind der amurösen Abenteuer streicht durch die Häuserblocks der Stadt. In China, einem Land mit der gefühlten Handydichte von 102 Prozent, haben Mobiltelefone Hochkonjunktur, besonders Abends, sobald Büro-Angestellte ihre Schreibtische verlassen. Ehefrauen dirigieren ihre Privattaxi fahrenden Männer zum Haupteingang, Schüler und Studenten verabreden sich zu einem KFC-Burger, Alleinstehende zu einem Date. Mit dem Einbruch der Dunkelheit fallen auf Beijings Straßen die Nichttelefonierer auf. Und je später der Abend, desto höher die Gspusi-Dichte der in unüblich sanfter Lautstärke vorgetragenen Gesprächsfetzen.

Ich bin auf der Heimfahrt um 2 Uhr morgens. Einen langen, produktiven Bürotag hinter mir, radele ich auf das Tor meines Apartmentkomplexes zu. Da die Privatstraße hinter dem Tor scharf nach links abbiegt, muss ich beim Einfahren in das Areal stark abbremsen. Bei der heutigen professionell ausgeführten 90 Grad Körper-und-Drahtesel-Drehung in Slowmotion, die einer Regine Mösenlechner alle Ehre gemacht hätte, vernehme ich eine Männerstimme, die in das Mikrofon seines tiefblau leuchtenden Mobiltelefons flüstert: "Ta zhidao women ma?"

Nun ist Chinesisch an sich eine einfache Sprache, kein Zeitformen, keine Deklinationen, ein nacktes (und damit in sich wunderschönes) Idiom. Doch ohne Schriftzeichen vor Augen auch mächtig kopfschmerzfördernd. Der Eingangssatz ist ohne Kontext nicht zu verstehen. Ich beginne zu grübeln. Meint mein turtelnder Nachbar nun他知道我们吗 oder 她知道我们吗? Dem aufmerksamen Leser fällt der Unterschied sofort ins Auge: 他ta männlich oder 她ta weiblich, also übersetzt in etwa: Weiß sie oder er von uns?
Nun hält hier ein junger Mann den Hörer, also überlege ich mir, dass sein Gesprächspartner wahrscheinlich weiblich ist. Reden sie über ihren Ehemann, ihren Freund? Was besprechen sie? Dass es langsam Zeit wird, ihr abendliches Telefon-Techtelmechtel publik zu machen? Will mein Nachbar (oder sie) klare Verhältnisse?
In meinem dreieinhalb Sekunden währenden Lauschangriff ist es mir nachvollziehbarerweise nicht gelungen, das Rätsel dieser Ménage a trois zu lösen. Sicher ist nur, dass ich bei der Komplexität derartiger (nicht nur chinesischer) Verwurschtelungen auch in Zukunft Gelegenheit haben werde, Telefon und blau beleuchteten Nachbar beinahe in der Toreinfahrt umzunieten.

(第三者 disanzhe (wörtlich: der/die Dritte) ist das chinesische Äquivalent zu einem "fünften Rad am Wagen")

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