Sonntag, 27. Juli 2008

Ein Hoch auf Shenzhener Hemdenverkäuferinnen!

Ein Mini-Krimi aus der Sonderwirtschaftszone


Ich schreibe aus dem 深圳副临大酒店, auf Deutsch Best Western Felicity Hotel Shenzhen und freue mich über zweierlei: Zum einen über den Erwerb schöner neuer Herrenhemden, slim fit und mit feinem Muster, zum anderen, viel mehr noch, über die Ehrlichkeit und entschlossene Verteidigungsbereitschaft Shenzhener
Hemdenverkäuferinnen.

Die Sache kam so:

Anders als in vielen kleinen Kleidungsgeschäften in Chinas Großstädten hat das Herrenbekleidungsgeschäft "East Sun" auf Shenzhens Einkaufsmeile Dongmen Laojie tatsächlich einen winzigen Ankleideraum im hinteren Teil der Ladenfläche. Dort habe ich als einziger Kunde des Geschäfts meine Tasche deponiert und mehrere Hemden, die der Anprobe harren.

Ein Chinese betritt kurz darauf den Laden... Es ist 21:15... Noch ahnt der ahnungslose Ausländer nicht, dass...

Nein, keine Eduard Zimmermann-Story, bitte.

Ok.

Kurz zusammengefasst: die Besitzerin des Ladens, die ich meist daran erkenne, dass sie gewichtig hinter der Kasse Platz genommen hat, wird misstrauisch und gibt ihren Verkäuferinnen eindeutige Anweisungen. Den Kerl nicht in den Ankleideraum lassen! Der will überhaupt nichts kaufen! Der hat es auf die Tasche abgesehen!

Und so formt sich - während ich mit einer der inzwischen eingeweihten Kolleginnen ahnungslos weiter zwischen rosa, hell- oder dunkelblau auswähle - eine energische Front gegen den umkleidewilligen, aber Schurkenhaftes im Sinn habenden Chinesen. Während ich mir überlege: passt da jetzt die schwarze Leinenhose besser als die dunkle Jeans... argumentieren die kleinen Verkäuferinnen um das Leben meiner Umhängetasche. "Na, Sie können das T-Shirt doch auch hier im Freien anprobieren!" oder "Haben Sie sich doch nicht so!" und andere unter dem Deckmantel der Neckerei versteckte Abwehrstrategien kommen gegen den Langfinger zum Einsatz. Bis der Kerl, der im übrigen nicht wie ein "kleiner gemeiner Dieb" aussieht, sondern wie ein kommunistischer Kader mit Polyester-Pulli und Herrenhandtasche, frustriert den Laden verlässt.

Ich bekomme die konzertierte Abwehraktion an der Kasse in allen Einzelheiten von drei Seiten gleichzeitig erzählt. "Ich sehe ja öfters Langfinger da draußen herumschwirren, aber bislang hat sich noch keiner direkt in meinen Laden gewagt", schnaubt die Besitzerin zum Schluss.

Ich bin gerührt und bestehe dennoch auf meinem Rabatt.

Auf bald, Shenzhen.

Freitag, 25. Juli 2008

Pekinger Zeitreise.


Wunderbares Pastaessen bei einem italienischen Architekten, der ein Viertel eines historischen Siheyuan bewohnt, lediglich ein Viertel des traditionellen Pekinger Wohnhauses mit großzügigem Innenhof, weil die anderen Dreiviertel schlicht und einfach verbaut sind. Pekings mitunter 700 Jahre alte hutong, mittelalterliche Wohnanlagen rund um ehemalige Wasserquellen, sind im Lauf der Jahrhunderte eher nach innen denn nach außen gewachsen (es gab schließlich bereits abschließendes Mauerwerk).

Der letzte Wachstumsschub geschah im Zuge der Kulturrevolution, den dringenden Erfordernissen der Zeit entsprechend, billig, provisorisch, ungeplant und meist illegal (letzteres ein Umstand, der den Behörden im Zuge großer Abrissaktionen die radikale Vertreibung der Hutong-Bewohner erleichtert). Die innere Verschachtelung hat mitunter einmalige Ausmaße angenommen, die soweit gehen, dass viele Bewohner unterschiedlichster Altersstufen in Zimmern nächtigen, die mit der Wohnsituation chinesischer Universitätsstudenten vergleichbar ist: 18 Quadratmeter für sechs Leute in Stockbetten.

Ich bin nach dem Essen auf das (nicht sehr hohe) Dach des nördlichen Flügels geklettert, um einen Blick über das gewachsene grau-blaue Chaos zu werfen.

Die Pasta waren einmalig, der Blick auch und der von nahem herüberwehende Geruch der öffentlichen Toilette sowieso.

Dienstag, 22. Juli 2008

Expedition ins Tierreich.

Sie nannten ihn MEMO, den Schlächter von Haidian –
eine tierische Anklage



Stechmücke Xiao Wen (3 Tage): „Meine ganze Familie, alle, Tante Zhao, Onkel Zhang, die kleine Tiantian, alle hat dieses Menschenmonster auf dem Gewissen!“
„Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als ich aus meinem Ei hinter der Kloschüssel im Badezimmer geschlüpft bin“, sagt Xiao Wen und seine vielgliedrigen Antennen fangen bei dieser Erinnerung zu zittern an. „Kaum wage ich meine ersten vorsichtigen Flugversuche mit meiner Familie, die meine Geburt kurz zuvor freudig besurrt hat, schon vernehme ich dieses fiese Fiepen in der Luft und – ZACK – mein Großvater Chen XXXXXIV. explodiert direkt neben meinem Rüssel!“

(Die kleine Aedes aegypti fliegt eine leicht panische Kurve durch das Wohnzimmer, bevor sie in der Lage ist, weiter Bericht zu erstatten.)

„Seitdem lebe ich in großer Angst. Dieses Menschenmonster, von meiner Familie, solange sie noch lebte, kurz MEMO genannt, schlug Abend für Abend aufs Neue zu. Furchtbar! Und das Schlimmste: seit gestern bin ich Vollwaise.“
„Da liegt meine Familie!“, ruft Xiao Wen und seine ohnehin schon piepsige Mückenstimme überschlägt sich. Sechs Beinchen deuten stocksteif in Richtung Esszimmertisch. „Alle hat MEMO dort aufgereiht, als ob er mir mitteilen wollte ‚Du bist der Nächste!’.“

„Was soll ich bloß machen? Ich bin ein Männchen, ich steche doch gar nicht!“, Xiao Wen weint.

Und während er sich langsam die unaufhörlich kullernden Tränen von seiner winzigen Mückenbacke schmiert, merkt Xiao Wen gar nicht, wie die Kraft zweier 1,5 Volt-Batterien Super Heavy Duty mit einem heftigen Knall seinem kurzen Mückenleben ein schmerzloses, aber dramatisches Ende bereiten.

„Ruhe in Frieden, Xiao Wen“, murmelt MEMO und streichelt liebevoll seinen Schläger.